Erfahrungsbericht von Stefan G.

Das Foto wurde von Stefan G. zur Verfügung gestellt

Erfahrungsbericht von Stefan G.

Wir schreiben das Jahr 1993 oder 1994… ganz – ne sorry falscher Film. Auch wenn das nachstehende ein interessantes Abenteuer sein könnte.

Meine Schwester – damals um die 15 Jahre jung – hatte nach einer Operation plötzlich Probleme zu hören bzw. zu verstehen.

Bei einem Arzt hieß es dann „Frau Geschwind, was haben Sie denn für ein Problem?“, worauf meine Schwester – unbewusst – mit „häää?“ antwortete. Schon gab es die ersten Hörgeräte. Ich würde dies nicht schreiben, wenn dies nicht für mich auch der Gedanke war, dass man seine Hörleistung verlieren kann.

Da zu dieser Zeit noch niemand wusste was das ganze ausgelöst hatte, war mein Gedanke „bloß nie eine Vollnarkose“.

Da ich aus zerrütteten Familienverhältnissen stamme, wurden meine Schwester und ich getrennt und ich kam zu Pflegeeltern. Mit 13 oder 14 habe ich manche Phrasen nicht verstanden. Es hieß jedoch schnell „Der Junge hört nur das, was er will.“ Niemand wusste es besser.

Da es gefühlt immer schlimmer wurde, bin ich dann mit 16 zum Hörtest. Als nochmal ein Jahr später eine Vergleichsmessung vorgenommen wurde kam heraus, dass ich mal eben 10db verloren habe und nun Hörgeräte brauche. Da war er nun, der Tag an dem ich diese Geräte bekomme. Irgendwie habe ich mich seit diesem Tag auch darauf vorbereitet, vermutlich irgendwann aufzuwachen und nichts mehr hören zu können.

Dann hieß es „Ab nach Bad Lippspringe“ und die ganzen Untersuchungen machen lassen: Hörnerv, Gleichgewichtsmessungen und den ganzen Kram denn, schließlich wollten wir alle wissen, wie das passieren konnte. Ich war nie ein Freund von lauter Musik oder sonstigen lauten Umgebungen. Aber hier war alles OK. Ich „höre nur schlecht“.

Mein erstes Hörgerät war ein Oticon – welches Modell weiß ich nicht. Noch analog von 2000, drei Programme inkl. T-Spule – mit letzterem wusste zu diesem Zeitpunkt nur der Akustiker was anzufangen.

Ich habe allerdings die Geräte die erste Zeit kaum getragen. Als ich hinterher wieder mehr Kontakt zu meinem Vater hatte, sagte er „Junge… du musst die Geräte tragen dann gewöhnst du dich an das Geräusch.“ Und „das Geräusch“ war damals das Kratzen von alten 0815 internen PC-Lautsprechern. Dieses Geräusch lässt sich schwer umschreiben und werden vermutlich nur solche kennen die die 90er mitgemacht haben.

Und verdammt: Vati hatte recht. Nach einiger Zeit wich das Gequäke einem klaren Sound. Ganz ohne Nachstellen und so weiter. Es war einfach da. Diesen Status sollte ich dann sechs Jahre behalten.

2006 habe ich dann erfahren, dass man eigentlich alle fünf Jahre* Neugeräte bekommen kann – mit Eigenleistung. Da durch diverse Umzüge ein Nachstellen der vorhandenen Geräte keine Option darstellte, zumal mir jeder Akustiker sagte, dass er das nicht nachstellen, sondern neu neu programmieren kann, fing eine neue „Probezeit“ an. Das erste Mal hatte ich hier mit Phonak und AudioService zu tun.

Die Phonakgeräte waren genial: Als wäre ich nie Schwerhörig gewesen. Einfach hören. Die Automatik tat auch seinen Dienst. Und ja: Wenn der Preis nicht so pervers hoch gewesen wäre, dann wären das meine gewesen. Schlussendlich wurden es AudioService. Diese hatten jedoch gefühlt einen schlechteren Ton im Vergleich zu meinen Oticon’s. Irgendwie „blechener“. Auch hier war wieder einmal das Thema der Zeit „Geduld“ und wieder Eingewöhnen. Und wieder hat es geklappt.

2007 hatte ich dann einen Hörsturz mit ab nun bleibendem Tinnitus auf der rechten Seite. Habe immer wieder mit dem Akustiker versucht das mit den vorhandenen Geräten zu kompensieren. Schlussendlich habe ich erfahren, dass ich durch den Hörsturz aus der Fünf-Jahres-Geschichte raus bin und neue Geräte bekommen kann, zumal die Aktuellen schlicht am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt sind.

Für mich war hier sicher „Wieder Oticon“, da ich den Sound am ehesten mochte. Dank moderner Technik konnte ich nun auch auf Richtmikrofone im Low-Preis Segment zurückgreifen. Es wurden „Go Pro“. Ab hier muss ich jedoch sagen, dass ich nur noch mit den Richtmikrofonen hören konnte. Alles andere war nur noch eine Ansammlung von Störgeräuschen. Diese Geräte sollten mich dann bis 2011 begleiten.

Auf Bitten meiner Arbeitskollegen – ich bekomme das ja nicht so mit – bin ich zu diversen Akustikern gegangen um prüfen zu können, was man machen kann:

  • Da die Geräte immer auf Vollleistung fahren, war das Hören entsprechend mit massiven Rückkopplungen verbunden
  • Sprachverständnis wurde immer schlimmer
  • Das mittlerweile vorhandene T-Spulen-Headset war gut, jedoch mit dem Nachteil verbunden, dass meine Geräte noch keine Einstellung hatten, in dem man die T-Spule samt Mikrofon verwenden kann. Ich hörte mich nicht und wurde am Telefon recht laut

Mit dem Segen meiner HNO begann dann ein Neuanlauf in Sachen Hörgeräte. Da ich ja 2006 gute Erfahrung mit Phonak hatte, dachte ich, dass ich diese mal testen könne (Naida UP). Leider wurde ich enttäuscht. Ich konnte zwar Sprache von Beginn an erkennen, hörte aber das Rauschen des Bürodruckers bei 5m Luftlinie und noch weitere Störgeräusche, jedoch der „Genuss“ von Musik oder gar das Klingeln meiner Wohnungsklingel konnte ich nicht genießen, bzw. letzteres nicht wahrnehmen. Ich wollte den Geräten jedoch eine Chance geben, da ich durch Geduld ja gemerkt habe, dass vieles möglich ist. Nach diversen Versuchen musste ich jedoch davon ablassen. Ich war der Meinung: Sprachverstehen ja, aber bitte nicht mit dem hohen Preis dessen, was ich nicht mehr wahrnehmen konnte.

Dann kamen Widex – „Super 220“ an die Reihe. Vom ersten Einschalten an war klar: Die gebe ich nicht mehr her. Da ich mir auch bewusst war, dass dies vermutlich meine letzten Hörgeräte sein werden, war mir der Preis auch vollkommen egal. Die „M-Dex“** noch dazu und die Sache war perfekt. Bis ca. 2015 ein Hören wie ich es nicht mehr kannte: Klar, super, klangvoll.

Ab da ging es immer schneller werdend bergab mit der Hörleistung. Zumindest wenn man den Aussagen meines Umfeldes Glauben schenken darf. Selbst bekommt man das ja nicht so mit.

Anfänglich war es noch möglich, das durch Nachstellen zu kompensieren. Anfang 2016 war dann auch damit Ende.

Zwischenzeitlich hatte meine Schwester auch schon zwei Operationen (CI beiderseits) hinter sich und schwärmte von den Implantaten.

Hier dachte ich mir „Nicht nochmal einfach nachstellen, ab zum HNO“. Ich wollte es von medizinischer Seite abgeklärt haben, ob das überhaupt noch Sinn macht. Und schwupps hatte ich eine Überweisung zur Phoniatrie.

Ab da ging alles schnell – schneller als gedacht:

Termine im CI-Zentrum ausgemacht, das zu meiner Verwunderung hier vor Ort vorhanden ist. Hier kam die Erkenntnis, dass ich auf der rechten Seite noch wahnsinnige 3-5 Prozent, auf der linken Seite noch 30-40 Prozent habe (was abhängig von Tagesleistung und Geräuschumgebung ist). Nach mehreren Gesprächen auch mit meiner Schwester über ihre Erfahrungen stand fest: Ein CI muss her, da meine Cochlea (die Hörschnecke) schlicht nach und nach die Arbeit einstellt. Das gleiche war bei meiner Schwester auch, welche mit CI’s sehr gute Erfahrungen gemacht hat. Sie war es auch, welche mir wärmstens „MED-EL“ empfohlen hat, wegen der sehr langen Elektrode. Sie konnte bereits wieder musizieren.

Musizieren? DAS wäre was. Seit ca. 2004 staubt mein Keyboard herum. Ich weiß gar nicht mehr, ob es überhaupt noch in Ordnung ist. Aber seit da habe ich es auch nicht mehr gewagt, in die musikalischen Tasten zu hauen wegen meiner schlechten Ohren. Jedoch jahrelange Klavierstunden sind ja gewesen. Man möchte doch irgendwann wieder.

CI-Zentrum und HNO gaben grünes Licht und ich freute mich schon auf den OP-Termin Anfang Oktober. Jedoch am Tag der stat. Aufnahme musste des Abends alles verschoben werden. Neuer Termin einen Monat später. Nochmal warten, nochmal Geduld zeigen – übrigens „Geduld“ ist das A-und-O ob nun Hörgeräte oder CI.

Anfang November war es dann soweit. Zwischenzeitlich habe ich dann im WWW eine sehr nette und lustige Gruppe kennen gelernt. Ein Zusammenschluss von Gehörlosen und CI Trägern. Auch hier habe ich dann nochmal Infos gesammelt und konnte sogar schon dem ein oder anderen gewisse Dinge beantworten.

Dann die OP. Eigentlich sollte ich nach zwei Stunden wieder auf Station sein. Daraus wurden acht. Schmerzen hatte ich eigentlich die ganze Zeit keine. Nur Schwindelig und eine halbtaube Zunge. Die paar Prozent Restgehör auf der rechten zu implantierenden Seite habe ich komplett verloren. So hieß es von der Entlassung aus dem Krankenhaus bis zur Erstanpassung (kurz: EA, dem Einschalten des externen Gerätes) Mono-Hören mit dem verbleibenden Hörgerät.

Je näher die EA rückte, desto nervöser wurde ich. Schlussendlich kann man sagen: Man freut sich wie ein kleines Kind auf Weihnachten. Dass ich – eigentlich eine ruhige und besonnene (wenn auch zeitweise durchgeknallte) Person derart nervös werde, hätte ich nie gedacht.

Und dann war er da: Der Tag der EA. Was werde ich hören – werde ich überhaupt was hören? Denn dies kann vorab niemand garantieren.

Also ab zur Klinik und durchziehen. Nach einer kurzen Untersuchung durch die Oberärztin hieß es dann „Nehmen Sie bitte vor dem Anpassungsraum Platz“ und wieder warten… wieder Minuten, die einem wie Stunden vorkommen. Und dann geht die Tür auf: Zwei Damen bitten mich hinein mit einem Lächeln, das Zuversicht schafft.

Jedoch kam gleich der erste Dämpfer: Die Spule will nicht halten. Mein Gedanke „toll… umsonst hier? Ne oder? Das ist nicht wahr“.


Dann hielt eine der Damen die Programmierspule vor die Stelle – sie durfte sie nur nicht loslassen – während die zweite Dame die Elektroden testete mit den Worten „Sie werden eventuell etwas Komisches hören, das ist der Test der Elektroden.“ Und ja… wirklich… ganz leise irgendwo im Hintergrund ein leises digitales Gedudel. Dann hieß es „Die Elektroden funktionieren schonmal.“ Worauf meine Frage war „Das komische Gedudel gerade… war es das, was Sie meinten?“ – „Super! Das haben Sie schon gehört?“.

Nun sollte ich draußen nochmal Platz nehmen… 10, 15 Minuten später sah ich, dass die Oberärztin zuerst ins Zimmer ging, dann der Cheffarzt und mein Operateur… ich dachte nur „Ach du scheiße was ist denn nun los?“ Sie riefen mich hinein und begutachteten den Operationsbereich – wie ich erfahren habe wegen des Spulenhalteproblems.

Dann sagte der Cheffarzt: „Dürfen wir Ihre Haare ein bisschen schneiden?“ Natürlich. Wächst eh nach wie Unkraut das Zeug.

Dann hielt die Spule schonmal solange ich mich nicht bewegte. Schlussendlich gab es noch ein Stirnband dazu und es ging. Allerdings merkte die Oberäztin noch an, dass eventuell die Haut ausgedünnt werden müsse, wenn die Schwellung nicht ausreichend zurückgeht. „Da warten wir aber noch 8 Wochen ab.“

Tiefes Durchatmen war angesagt… mental sowie physisch, denn die EA konnte weitergehen. Noch war das rechte Ohr ja „offline“. Dies sollte sich nun ändern:

Nach einigen Testtönen konnte ich über das CI bereits (leise und mit viel Konzentration darauf) meine Audiologinnen verstehen.

Schon waren der nächste Termin zur Anpassung und erste Logopädie Termin gesetzt. Die Hörwelt erwartete mich, die Tür habe ich aufgestoßen.

Nun liegt es an mir, was ich daraus mache. Mittlerweile (ein Monat nach dem Termin) hält die Spule fast 100 Prozentig sauber, ebenso habe ich einige Hörerlebnisse gehabt. So hat mich das Ticken einer billigen Flohmarktuhr irre gemacht. Das habe ich seit mindestens 1997 nicht mehr gehört – oder das „Klackern“ einer Ampel aus über 20m Entfernung… nie gehört. Ebenso das Knuspern von Brötchen das geschnitten und gegessen wird – nicht von mir: von einer Person die zwei Meter von mir weg is(s)t.

Nach jeder Einstellung und Logopädie-Termin höre ich mehr. Und habe immer mehr Hunger auf das, was da noch auf mich wartet. Mein Hören ist gewachsen, aktuell noch mechanisch bis „Mickey-Mouse“ klingend, jedoch teils auch mit sehr klaren Phasen.

Willkommen in der Gegenwart. Hörenlernen ist nun das Thema der Stunde. Alles was ich jahrelang nicht gehört habe wieder neu einordnen.

Viel Geduld ist erforderlich – keine Frage. Aber der Weg ist das Ziel. Auch, wenn mal Rückfälle kommen wie meine Logopädin schon angedeutet hat, dann ist das normal und man soll nicht verzagen sondern weiter trainieren.

Hörwelt: ich komme. Ob du willst oder nicht! Mach’ dich bereit für Stefan Geschwind!

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* Nach aktuellem Stand hat ein Erwachsener bei gesetzlichen Krankenkasssen nach sechs Jahren Anspruch auf neue Hörgeräte.
** Eine Fernbedienung vom Hersteller Widex, die bluetoothfähig ist